Auswahl des Gastlandes, Vorbereitung und Einreise:
Ich habe im Herbst 2020 damit begonnen mich mit der Planung für mein Auslandssemester zu
beschäftigen. Ich wollte gerne außerhalb von Europa und Nordamerika studieren und bei
einem Blick auf die Liste von Partneruniversitäten meiner Hochschule, der FH Dortmund, ist
mir Jerusalem sehr schnell ins Auge gefallen. Ich hatte Interesse daran mich intensiver mit
dem Nah-Ost-Konflikt auseinander zu setzen, fand das Profil der Hochschule und die Arbeiten
der Absolvierenden ansprechend und fand es spannend als Deutsche in ein jüdisches Land zu
gehen. Ich finde der Holocaust ist in der deutschen Gesellschaft und dem Schulsystem sehr
gut aufgearbeitet, über jüdische Kultur und Sitten wusste ich aber dennoch sehr wenig. Aus
diesen Gründen stand meine Entscheidung für die Bezalel Academy of Arts and Design in
Jerusalem Ende 2020 recht schnell fest und ich konnte mit den Vorbereitungen beginnen.
Ich bewarb mich für das HAW. International Stipendium des DAAD und parallel dazu für zwei
Stipendien über meine Hochschule. Die Bewerbungs-Deadline für die Gasthochschule war der
1. Mai und Anfang Juni kam die Zusage von dort. Etwas später dann auch die Zusage vom
DAAD für das Stipendium. Außerdem besuchte ich ab Januar einen Hebräisch-
Volkshochschulkurs. Bei den Vorbereitungen rund um das Visum und vor allem auch mit den,
sich zu diesem Zeitpunkt, im Sommer 2021, ständig ändernden Corona Verordnungen zur
Einreise, war die Auslandskoordinatorin von Bezalel zum Glück extrem hilfreich und versorgte
uns immer sehr schnell und ausführlich mit allen aktuellen Informationen. Meine anfängliche
Angst beide Covid-Impfungen, die ich brauchte um in Israel studieren zu dürfen, pünktlich zu
erhalten, stellte sich zum Glück als unbegründet heraus und ich konnte Mitte September nach
Jerusalem reisen. Ich war sehr froh über das hohe Stipendium vom DAAD, da allein die Einreise
mit insgesamt drei PCR Tests, einem Serologischem Test, einer Woche Quarantäne in einem
von der Gasthochschule vorgegebenen Hotel und langer Taxifahrt vom Flughafen, da man
keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen durfte, insgesamt mit sehr hohen Kosten verbunden
war.
Ich hatte das Glück schon vor meiner Einreise durch eine andere Austauschstudentin ein
Zimmer in einer WG mit zwei weiteren Internationals und dem israelischen Sohn des
Vermieters gefunden zu habe, wo ich dann gleich nach meiner abgeschlossenen Quarantäne
einziehen konnte. Viele andere Austauschstudierende hatten große Probleme eine Wohnung
zu finden, es empfiehlt sich also damit früh anzufangen.
Hochschule und Kurswahl:
In der ersten Woche der Vorlesungszeit konnten wir unsere Kurse wählen ich entschied mich
für fünf Kurse im Photography Department, es wäre aber auch möglich gewesen in anderen
Departments Kurse zu belegen. Ich legte alle meine Kurse auf Dienstag bis Donnerstag, was
eine sehr gute Entscheidung war und mir die Möglichkeit gab vier Tage in der Woche Zeit zu
haben meine Projekte zu fotografieren und das Land zu erkunden.
Zwei Kurse waren verpflichtend für Studierende im dritten Jahr. Das waren „Documentary
Photography“ und „Photography and Identity“. Außerdem belegte ich noch drei weitere
Kurse. In „Site Specific“ planten und fotografierten wir eine Ausstellung im Bahnhof von
Jerusalem, was mir sehr großen Spaß gemacht hat. In „Photography and other media“ ging es
darum fotografische Räume zu erschaffen. Die Arbeitsweise war sehr künstlerisch und
abstrakt, was eine Arbeitsweise ist, die ich normalerweise nicht so mache. Der Kurs war sehr
interessant, aber ich habe auch festgestellt, dass mir diese Arbeitsweise nicht liegt.
„Masterclass - Photography and mapping“ wurde von Miki Kratsman angeboten, ein
Israelischer Fotograf, den ich sehr inspirierend finde. Hier hatten wir die Möglichkeit ein freies
dokumentarisches Projekt zu erstellen. Den Kurs „Photography and Identity“ habe ich Ende
Dezember verlassen, da ich festgestellt habe, dass ich in diesem Kurs keine gute Arbeit
erstellen würde und ich mit Uni und allen anderen Dingen die ich während meiner Zeit im
Ausland machen wollte konstant nur im Stress bin und das Semester gar nicht mehr genießen
konnte. Mein Hauptprojekt habe ich in den Kursen „Documentary Photography“ und
„Photography and mapping“ erstellt. Hier habe ich mich mit der Rolle der Handykamera im
Wiederstand von Palästinenser:innen beschäftigt und sowohl selbst fotografiert, als auch viel
mit Found Footage gearbeitet. Entstanden ist ein Buch-Dummy, an welchem ich nun auch im
kommenden Semester in Deutschland noch weiterarbeiten möchte. Insgesamt komme ich mit
16 ECTS Punkten zurück an meine Hochschule. Ewas geärgert hat mich der Schlüssel der
Umrechnung von Creditpoints, da die vier Kurse in Jerusalem jeweils vier ECTS Punkte wert
waren, allerdings vom Arbeitsaufwand wie ein Hauptgestaltungskurs an meiner Hochschule
der FH Dortmund waren, welche sechs bis acht ECTS Punkte wert sind. Dadurch habe ich in
Jerusalem vier Kurse belegt, die ich in Dortmund nur als zwei Kurse anrechnen kann.
Davon abgesehen war die größte Schwierigkeit beim Studieren definitiv die Sprachbarriere.
Die Kurse waren alle auf Hebräisch, und da es einige Studierende gab, die nur sehr wenig
Englisch sprachen, wurde fast nie in Englisch gesprochen. Ich hatte zwar vorher einen
Hebräisch Kurs belegt, aber mein Level war natürlich nicht ansatzweise ausreichend für
Kommunikation in einem akademischen Umfeld. Meine Israelischen und Palästinensischen
Mitstudierende waren sehr hilfreich und haben immer geholfen zu übersetzen, allerdings ging
natürlich trotzdem sehr viel Information verloren, was manchmal im Unterricht etwas
demotivierend war. Das war auch der Grund, warum ich nur Gestaltungskurse und keine
Wissenschaftskurse gewählt habe. Das hätte mich zwar auch interessiert, allerdings hatte ich
Angst, dass ich in einem Wissenschaftskurs auf Hebräisch gar nicht mitkommen würde.
Der Bezalel Campus liegt auf dem Mount Scorpus, direkt neben der Hebrew University of
Jerusalem und hat einen fantastischen Ausblick auf die Stadt und in die Wüste in der
Westbank. Es gibt eine Mensa, dort war ich allerdings nie, eine Cafeteria und Mikrowellen, wo
ich, so wie auch die meisten anderen Studierenden, Mittags mein mitgebrachtes Essen
aufgewärmt habe. Außerdem gibt es eine gute Bibliothek und sehr gut ausgestattete
Werkstätten. Die Arbeitsweise und Art der Kursgestaltung waren sehr ähnlich, wie ich das
auch aus Dortmund kenne. Was auch sehr positiv war, war, dass wir das gesamte Semester
Präsenz Unterricht hatten, bis auf die letzten paar Wochen, wo einige Professor:innen sich
aufgrund von stark steigender Zahlen entscheiden online zu unterrichten.
Alltag:
Wie schon erwähnt hatte ich das Glück keine Probleme mit der Wohnungssuche zu haben.
Meine Wohnung lag im Stadtteil Talpiot, wodurch der Weg zur Hochschule morgens fast eine
Stunde gebraucht hat. Besonders zu Stoßzeiten kann Busfahren teilweise unglaublich lange
dauern, da innerhalb Jerusalems sehr viel Verkehr ist. Alle öffentlichen Verkehrsmittel bezahlt
man mit der RavKav, die man an verschiedenen Stellen in Jerusalem kaufen und dann auch
immer wieder aufladen kann. Die Israelischen Verkehrsmittel fahren während des Shabbats
nicht, ich hatte aber das Glück an einer Hauptstraße zu wohnen, wo, obwohl ich in West-
Jerusalem gewohnt habe auch die Palästinensischen Busse entlang gefahren sind, wodurch
ich auch samstags leicht in die Innenstadt gekommen bin. Die Palästinensischen Busse fahren
zwischen den Ost-Jerusalemer Stadtteilen und auch in die Westbank Städte wie Bethlehem
und Ramallah. Als App für Busfahrpläne ist Movit zu empfehlen, aber auch Google Maps
funktioniert meistens gut. Außerdem hatte ich mir recht schnell ein Fahrrad besorgt, was eine
sehr gute Entscheidung war. Ich war nicht von den Busfahrplänen abhängig und bei viel
Verkehr auch deutlich schneller. Jerusalem ist zwar sehr hügelig und es gibt nur sehr wenig
Fahrradwege aber ich habe das Fahrrad trotzdem sehr viel benutzt.
Ich hatte meinen Reisepass eigentlich fast immer dabei. Zum einen, weil man fast überall seine
Passnummer angeben muss (bei der Post zum Bespiel was auch manchmal etwas kompliziert
ist mit deutschem Pass, da die Eingabemasken nur Nummern und keine Buchstaben
annehmen) aber auch um nicht in die Situation zu kommen ohne Reisepass in der Westbank
zu sein. Von Israel in die Westbank wird man nicht kontrolliert zurück aber oft schon. Nur in
Israelischen Bussen kommt man, solange man nicht Arabisch aussieht, oft ohne Kontrolle
durch die Checkpoints. Der Checkpoint zwischen Bethlehem und Jerusalem ist sehr stark
gesichert und wenn man in einem Palästinensischen Bus fährt, hält der Bus am Checkpoint an
und alle Palästinenser:innen müssen aussteigen und zu Fuß durch die Kontrolle, während
Ausländer:innen im Bus sitzen bleiben dürfen. Hier spürt man auch als Außenstehende:r sehr
deutlich die ungleiche Behandlung von Menschen auf Grund derer Nationalität.
Ich hatte mir gleich am Anfang einen Israelischen Bankaccount eingerichtet, weil ich dachte,
damit ist es leichter Geldabzuheben und meine Miete zu bezahlen. Ob das wirklich die beste
Entscheidung war, bin ich mir allerdings nicht so sicher.
Man sollte den Winter in Jerusalem definitiv nicht unterschätzen. Es wird richtig kalt, regnet
viel und ist sehr windig. Einmal hat es sogar geschneit, wodurch am nächsten Tag die ganze
Stadt lahmgelegt war und unsere Prüfung online abgehalten wurde. Außerdem gibt es keine
Zentralheizungen. Ich hatte Glück und eine Klimaanlage, die auch warme Luft pusten konnte,
viele hatten aber auch nur kleine Heizwärmer. Was ich damit sagen möchte: Warme Kleidung
mitnehmen, wenn man im Winter in Jerusalem ist.
Erfahrungen und Erlebnisse:
Mir persönlich war es sehr wichtig, dass ich mich, wenn ich in diesem Land bin, auch intensiv
mit der politischen Situation beschäftige. Darauf habe ich außerhalb des Studiums auch
meinen Hauptfokus gelegt. Ich habe mich der englischsprachigen Aktivismus Gruppe „All
that’s left“ angeschlossen. Darüber habe ich im Herbst mehrere Male bei der Olivenernte in
der Westbank geholfen, was eine super interessante Erfahrung war und großen Spaß gemacht
hat. Ich habe als Fotografin das Social Media Team unterstützt und war auf vielen
Demonstrationen mit dabei. Ich habe auch mehrere Wochenenden in einem
Palästinensischem Dorf in den South Hebron Hills, im Süden der Westbank verbracht, welches
stark von Siedler- und Militärgewalt betroffen ist und wo ein Solidaritätsprojekt mit
Palästinensischen, Internationalen und Israelischen Aktivist:innen stattfindet. Diese
Wochenenden waren extrem prägend, weil sie mir einen kleinen Einblick in die
Lebensrealitäten der Bewohnerinnen dort unter der Militärbesetzung geben konnten. Diese
Wochenendschichten habe ich auch für „All that’s left“ gemeinsam mit den Aktivist:innen vor
Ort koordiniert. Wenn man sich für die Lebensrealitäten von Palästinenser:innen interessiert
(was ich für essenziell halte, wenn man sich für ein Auslandssemester dort entscheidet), kann
ich auch die Touren von „Breaking the Silence“ und „Ir Amim“ sehr empfehlen. Ich habe an
zwei teilgenommen und unglaublich viel dadurch lernen können.
Ich war auch Mitglied bei Imbala, einem ehrenamtlich geführten Café und Kulturzentrum in
Jerusalem. Das war auch eine tolle Möglichkeit Menschen kennen zu lernen und an
interessanten Veranstaltungen und Vorträgen teilzunehmen. Aber auch wenn man nicht
Mitglied wird kann ich nur empfehlen dort mal auf einen Café oder eine Suppe vorbei zu
schauen. Auch Hamiffal kann ich sehr empfehlen. Tagsüber gibt es da viel Platz um sich zu
treffen oder zu arbeiten und abends werden dort ebenfalls viele interessante
Veranstaltungen angeboten. Wenn ich mal nichts zu tun hatte war mein Lieblingsort das
Damaskus Tor, wo ich gerne einfach gesessen bin, ein Falafelsandwich gegessen und
Menschen beobachtet habe. Ganz in der Nähe gibt es auch einen tollen Englischsprachigen
Buchladen, den Educational Bookshop, wo es viele sehr interessante Bücher zur Kultur und
dem Konflikt im Nahen-Osten gibt.
Super schön war es auch Hanukkah in Jerusalem zu erleben. Die ganze Stadt war mit
Lichtern geschmückt und es gab überall leckere Sufganiyot zu kaufen. Freitagabend, wenn
der Shabbat beginnt würde ich auf jeden Fall mal bei der Western Wall vorbeischauen, wo es
super interessant ist den Gläubigen beim Feiern und Tanzen zuzuschauen. In der
Weihnachtszeit war ich auf einem Weihnachtsmarkt in Bethlehem, was ich auch sehr
empfehlen kann. Was ich leider verpasst habe, war das Erleuchten des Weihnachtsbaumes.
Das ist in den meisten Palästinensischen Städten wie Bethlehem und Ramallah oder den
großen Mixed-Citys wie Haifa oder Nazareth ein großes Event, wo ich gerne dabei gewesen
wäre.
An freien Tagen habe ich einige Ausflüge mit anderen Austauschstudierenden
unternommen. Zum Beispiel an das Tote Meer, den See Genezareth und den Ramon Krater.
Nach Ende des Semesters bin ich noch für sechs Wochen nach Amman in Jordanien gereist
und habe dort einen Arabischkurs besucht.
Insgesamt bin ich sehr froh, dass ich mein Auslandssemester in Jerusalem verbracht habe,
auch wenn ich dem Staat Israel jetzt bei weitem kritischer gegenüberstehe als vor meinem
Auslandsaufenthalt, aber genau deshalb hat das Semester mich auch so sehr geprägt. Es ist
sehr gut möglich in Jerusalem und Tel Aviv zu sein und sich gar nicht mit der politischen und
humanitären Situation zu beschäftigen, ich würde aber jeder Person, die dort hin reist
dringend empfehlen das zu tun. Auch die Traditionen aus dem Judentum zu sehen und
miterleben zu dürfen war sehr schön und ich habe unglaublich viel gelernt.
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